Ich will auch Autor werden

Man kennt es ja, man unterhält sich nett, erst das Übliche, wie geht es dir, was machst du so, sagt wie immer, dass es einem gut geht, aber dann passiert etwas Ungewöhnliches. Man erzählt, dass man gerade etwas beschäftigt ist mit dem Verfassen eines Buches, da sackte plötzlich der Gesprächspartner zusammen. „Nein, du nicht auch noch, ich…ich“, stammelte er und ich sah ihn verwirrt an. Er packte mich an meiner Jacke und meinte mit zittriger Stimme: “Du darfst es keinem erzählen, aber ich kann mit dieser Lügen nicht mehr leben. Wenn man mich fragt, welches Buch ich gerade schreibe, erfinde ich Titel, aber das ist gelogen, ich schreibe nichts! Wieso schreibt in diesem Land jeder Mensch ein Buch? Jeder Politiker oder jedes Show Girl, das seine Titten in die Kamera hält, schreibt was. Mein Nachbar, mein Schwager, jeder, jeder, jeder. Sogar mein Ben schreibt gerade ein Märchen.“ Mitleidig sah ich auf ihn herab. Ich hatte ihn immer als ehrlichen anständigen Menschen kennen gelernt, der wie jeder andere seine Steuererklärung ausfüllte, einen 20 Kilometer längeren Fahrweg angab und sogar einen kleinen Sohn namens Ben hatte, überhaupt nicht auffällig. Aber wie sollte jener je stolz auf seinen Vater sein, wenn dieser nicht auch ein Buch schrieb? fragte ich mich aber war still, ich wollte ihn in seiner Verzweiflung nicht noch tiefer stürzen.

Aber wenn ich genau überlegte, geschah ihm das ganz recht, dass er sich für den Bodensatz der menschlichen Gesellschaft hielt. Ich meine, sogar der Zeitungsjunge, der mir immer die Zeitung brachte, hatte seine Memoiren geschrieben. Und nicht zu vergessen, eine Ökobäuerin im selben Ort, die in ihrer Freizeit Wurzeln sammelte ein Buch namens ‚Zurück zu den Wurzeln‘ letzte Woche veröffentlicht hatte. Und natürlich ein ehemaliger Boxer, der ein Buch geschrieben hatte, das er ‚Schlagende Argumente‘ nannte und solche Beispiele konnte ich zu hunderten aufzählen.

„Woran liegt es, dass du noch keines geschrieben hast?“ meinte ich noch mitfühlend, die Verachtung, die in mir aufstieg, unterdrückend. Der zuckte mit den Schultern. “Ich weiß es nicht, vielleicht haben mich meine Eltern nicht wirklich geliebt oder Rauchen macht schwachsinnig, aber ich kam noch nie auf die Idee ein Buch zu schreiben, weil ich, ehrlich gesagt, mich nicht für so gut halte, dass es alle lesen sollten. Ich denke, Bücher sollten zum Wohle der Menschen da sein.“ Ich schüttelte den Kopf. “Darum geht es doch gar nicht, wenn du einen berühmtem Namen oder ein gutes Thema hast, kannst du praktisch jeden Schrott schreiben, als ob mangelndes Talent eine Ausrede wäre. Ich meine, wenn du ohne Hände zur Welt gekommen wärst und dein Buch nur mit dem Mund hättest schreiben können, hätte ich auch nur eine kleine Novelle von dir erwartet pro Jahr, aber mangelndes Talent? Pahh.“ Ich schüttelte den Kopf, sah ihn an und meinte dann gönnerhaft: “Wie wäre es, wenn wir ein Buch schreiben, ich helfe dir dabei, ich kenne mich ein bisschen damit aus, dann tanzt du nicht mehr so unangebracht aus der Reihe. Was hältst du davon?“ Ich dachte darüber nach, ihm den Arm um die Schulter zu legen, denn eigentlich war er ein feiner Kerl, der es nicht verdient hatte, so ein Außenseiter zu sein, aber verwarf den Gedanken schnell, denn er schüttelte nur den Kopf. “Du versteht es nicht, ich kann keine Bücher schreiben, was soll ich den Leuten denn Spannendes erzählen, was nicht schon eine Million mal da war?“ Ich sah ihn an und erklärte ihm dann: “Hör mir mal genau zu, es kommt doch gar nicht auf die Qualität an, schon mal von Masse vor Klasse gehört? Und seien wir ganz ehrlich, viele Bücher sind doch nur narzistische Selbstdarstellung, irgendwelche Biographien oder ‚Jetzt rede ich‘. Warum willst du so aus der Reihe tanzen und kein Buch schreiben? Du kannst dir ja sagen, du hast dir Mühe gegeben, das hilft ungemein. Es ist doch verwerflich, wenn jemand Giftmüll in einen Fluss schüttet oder?“ fragte ich nach. Er nickte und ich meinte: “Aber nicht mehr so schlimm, wenn der Fluss sowieso schon tot ist. Genauso ist es auch mit geistigem Giftmüll. Wenn der allgemeine Lesefluss sowieso schon lange tot ist, wieso ist das dann unmoralisch noch mehr hinein zu schütten?“

Er sah immer noch skeptisch aus und doch war ich dabei, seine Verteidigung zu überwinden und ihn doch noch zu einem geachteten Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu machen.

„Weißt du, ich will doch gar nicht unangenehm auffallen, aber ich…“ Wieder stammelte er hilflos und dann verabschiedete er sich hastig und ging mit schnellen Schritten davon.

Das war im Übrigen die Geschichte, wie ich J.R Tolkien, äh, ich meinte, diesen einen erfolgreichen Typen, der die Millionen Bücher verkauft hat, geholfen habe, der aus dem einen Land, wie heißt es nochmal? Nun ja, egal und das Gespräch fand auch nicht statt, nur in meiner Vorstellung, die leider von der Realität nicht mehr weit entfernt ist, vielleicht mache ich ja ein Buch daraus. Ich wollte doch nur ein Buch schreiben….

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